Keine gute Zeit für Pazifisten

Am 24. Februar 2022, frühmorgens, ist die Welt mit einem Knall eine andere geworden. Da ist etwas geschehen, woran niemand zu denken wagte. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz beschrieb dieses Ereignis treffend als „Zeitenwende“. Eine Atommacht griff einen anderen Staat an, um ihn in seinem Besitz zu bringen. Im zivilen Strafrecht würde man sagen: ein klassischer Raubüberfall.

Der russische Überfall auf die Ukraine ist mittlerweile 6 Monate alt. Was auf russischer Seite als „Spezialoperation“ deklariert wurde, die in wenigen Tagen, längstens in wenigen Wochen abgeschlossen sein sollte, ist nichts anderes als ein handfester Angriffskrieg der übelsten Art geworden. Putin´s Kalkül, die Ukrainer würden schon mit schwenkenden Fähnchen auf die russischen Besatzer warten, hat sich als Chimäre herausgestellt. So kam es, wie es kommen musste. Niemals hat Putin mit einem solch hartnäckigen Widerstand gerechnet. Man kann ihm schon heute prophezeien, sollte er sein „Kleinrussland“, wie er die Ukraine bezeichnet, jemals unter seine Kontrolle bringen können, was hoffentlich niemals passieren soll, er wird keine Freude daran haben. Das ist die eine, die schreckliche Perspektive dieses Krieges. Es ist verbunden mit unermesslichem Leid, Tod und Zerstörung von Existenzen in der Zivilbevölkerung. Aber auch umgekehrt, sollte die Ukraine diesen Angriff abwehren können, bedingt dieses Vorhaben ebenso eine enorme Kraftanstrengung und Opferbereitschaft der Bevölkerung, was wiederum mit Entbehrungen, Leid, Tod und Zerstörung verbunden ist. Und nicht zu vergessen, die enormen Kosten für einen Wiederaufbau.

Eine andere schreckliche Seite, die sich durch diesen Konflikt offenbart, ist die Ohnmacht und Ratlosigkeit des Westens darauf, gleich in mehrfacher Hinsicht. Schnell stellte sich heraus, Europa wäre einer mächtigen Aggression mit den bestehenden militärischen Möglichkeiten nicht gewachsen. Beispiel: Die deutschen Heeresverantwortlichen blickten in ihre Waffenarsenale und waren erstaunt. Die Bestände reichten gerade noch für Friedenszeiten als Drohkulisse, niemals für einen echten Kriegseinsatz.

Am Beginn des Krieges war hierorts die Empörung darüber groß, was sich Herr Putin da anmaßt. Sofort war man sich im Klaren, der Ukraine muss geholfen werden. Aber wie? Unmittelbar am Beginn der Putin´schen Spezialoperation war auch den Russen klar, dass ihre Westflanke völlig ungeschützt sei, sollte der Westen aktiv in diesen Konflikt eingreifen. Zum Schutz dieser Schwachstelle genügte eine handfeste, unverhohlene Drohung, Atomwaffen einzusetzen, sollte die NATO oder ein anderer Weststaat der Ukraine militärisch zu Hilfe eilen. Diese Drohung hat gewirkt. Die Westflanke war somit militärisch gesichert, die europäische Bevölkerung und ihre Politiker haben diese Einschüchterung verstanden. Niemand wollte eine Konfrontation mittels Waffengewalt mit einer Atommacht.

So ersann der Westen das Mittel der „Wirtschaftssanktionen“ und hoffte, damit den Krieg stoppen zu können. Jeder halbwegs denkende Mensch musste sich im Klaren sein, Wirtschaftssanktionen können kurzfristig einen von langer Hand vorbereiteten Krieg nicht verhindern, ja, nicht einmal beeinflussen. Die Waffen, die Russland heute in der Ukraine einsetzt, sind schon vor vielen Jahren produziert worden, zum Teil noch in der Sowjet-Ära, und massenweise vorhanden. Die Soldaten werden in Rubel bezahlt, davon kann Putin tonnenweise drucken lassen. Also gibt es für Putin keinen materiellen Grund, wegen der Sanktionen, die er offenbar auch einkalkulierte, von seinem Vorhaben, Krieg zu führen, abzulassen. Es bedeutet aber nicht, dass die Sanktionen der russischen Wirtschaft nicht schaden würden. Aber sie sind untauglich, jetzt den Krieg zu beenden! Ergänzend zu den Wirtschaftssanktionen stellte man der Ukraine allerlei Waffen und Munition zur Selbstverteidigung zur Verfügung. Bei schweren Waffen und Kriegsgerät brach in vielen westlichen Regierungsstuben Zweifel aus, ob man diese der Ukraine überlassen sollte, überlassen könne, angesichts der nuklearen Bedrohung durch Russland. Die Deutschen sandten unter großen bürokratischen Hürden erst einmal vorsorglich 5.000 Helme in die Ukraine, die Verteidigungsministerin Christine Lamprecht (SPD) feierte dies als humanitär-militärische Großtat. Der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko quittierte diese Leistung mit der ironischen Ansage: „… und für 5.000 Kopfkissen wären wir auch sehr dankbar.“ Diese Ironie bringt die lächerliche deutsche Haltung zu dieser ernsten Lage der Ukrainer auf den Punkt. Immer wieder besann man sich der Drohung Russlands, für die Parteinahme zugunsten der Ukraine mit Atomwaffen bestraft zu werden und bekam kalte Füße. Nicht minder wirkungsvoll war die russische Drohung, den Gashahn nach Europa abzudrehen. Allen voran, die deutsche Sozialdemokratie trug ihre Zweifel offen zur Schau und man verschanzte sich hinter Bürokratie und rechtlichen Formalismen, um die benötigten und ursprünglich per Regierungsbeschluss großzügig zugesagten schweren Waffen nicht (sofort) liefern zu müssen.

Gleichzeitig traten wenige Tage nach Kriegsbeginn selbsternannte Friedenstauben, sogenannte pazifistisch eingestellte Intellektuelle auf den Plan, die den Kanzler aufforderten, keine schweren Waffen an die Ukraine zu liefern und stattdessen die ukrainische Staatsführung zu Friedensverhandlungen – mitten im Abwehrkampf – zu „motivieren“. Berühmt wurde der Offene Brief an den Bundeskanzler Olaf Scholz in der Frauenzeitschrift „Emma“, der Feministin Alice Schwarzer, der von einer Reihe friedensbewegter Intellektuellen unterzeichnet wurde.

Frieden auf den langen Tisch geschoben.

Putin hatte derweil eine ganz andere Agenda, Frieden war da nicht dabei. Für ihn zählte das Ziel, Tatsachen durch Landgewinn zu schaffen. Doch die ach so klugen, intellektuellen Köpfe negierten die Tatsache, dass Putin an Friedensgesprächen keineswegs interessiert war, weil sie ihm in seinen Absichten zuwider liefen. Mit wem sollte also die ukrainische Führung verhandeln? Alle internationalen diplomatischen Bemühungen und Gespräche, auch bereits vor Kriegsbeginn, sei es durch den französischen Präsidenten Macron, Bundeskanzler Scholz oder später durch UNO-Generalsekretär António Guterres endeten TV-gerecht am überdimensional langen Verhandlungstisch im Kreml. Die Botschaft dieser Bilder war eindeutig und klar: „Bleibt mir mit Eurem diplomatischen Geschwätz fern. Ich zieh´ mein Ding durch, egal was Ihr sagt.“ Zur Bekräftigung seiner Kriegsabsicht und wie wenig er von Diplomatie hält, ließ Putin einige Raketen Richtung Kiew abfeuern, just als Guterres sich dort zu Gesprächen mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj traf. Deutlicher konnte er seine Absichten, keinen Frieden zu wollen, nicht unterstreichen.

Trotzdem traten in deutschen Talkshows die selbsternannten Pazifisten reihenweise auf und erklärten wortreich, aber ohne sachlich stichhaltige Argumente vorzutragen, was gegen diesen Krieg zu tun sei. Realistisch gesehen? Nichts, denn Putin hört mit dem Schießen nicht auf.
Um zu verstehen, was diese selbsternannten Friedensverkünder anstreben, können wir wieder das zivile Strafrecht bemühen. Es ist nichts anderes, als würde man einem überfallenen Raubopfer zwar nicht zu Hilfe eilen, ihm aber raten, die Wertsachen dem Täter auszuhändigen und ihn ungestraft mit der Beute ziehen zu lassen. Im zivilen Strafrecht wären diese Ratgeber recht schnell selbst ein Fall für das Strafgericht, nämlich wegen des Tatbestandes der „Unterlassenen Hilfeleistung„. Warum sollte diese Rechtsnorm nicht auch im Völkerrecht gelten?

Die Bilanz nach 6 Monaten Krieg muss also sehr nüchtern ausfallen. Für die ukrainische Bevölkerung eine Schreckenszeit ohne Aussicht auf ein nahes Ende. Für die ukrainische Armee ein langsames Sterben, mit der Hoffnung verbunden, schließlich doch die Oberhand in dieser Auseinandersetzung zu gewinnen, so ferne der Westen uneingeschränkt hilft und unterstützt. Doch die ernüchterndste Bilanz dürfen wohl die Russen selbst ziehen. Was als Spaziergang der angeblich zweitstärksten Armee der Welt angelegt war, entwickelt sich zunehmend zu einem veritablen Desaster. Es zeigt sich tagtäglich, diese Armee ist viel schlechter als ihr Ruf. Wenn sie eines Tages aus der Ukraine abziehen müssen, werden sie ein riesiges Alteisenlager aus ihren üppigen Waffenbeständen hinterlassen. Die Ukraine wird zu Europas größtem Schrottplatz.

Die Auseinandersetzung mit Putin hat Europa eine Gasnotlage und Energiekosten zu Wucherpreisen beschert und die bange Sorge, hält der Zusammenhalt in den europäischen Zivilgesellschaften? Auch für sie gibt es schwerwiegende Einschränkungen im Alltag zu bewältigen. Inflation und unbezahlbare Energiekosten sind die TOP-Themen. Doch, einen positiven Aspekt gilt es auch in dieser schwierigen Zeit zu vermelden. Jetzt beginnt sich die Einsicht durchzuringen, fossile Energie war gestern, heute und in Zukunft dominiert die Forderung, endlich alternative, erneuerbare, CO2-freie Energiequellen sofort zu entwickeln! Das sich rasch verändernde Klima mit allen seinen negativen Begleiterscheinung verlangt dies ohnehin schon längst. Jetzt sind erfinderische Ingenieure und innovatives Unternehmertum, und nicht nur diese, gefordert, endlich den Ausstieg aus der fossilen Bedrohung für das Klima neu zu denken, neu zu entwickeln. Gelingt dies, ist Putin der Verlierer in diesem Machtpoker und die Welt kann ihm für sein schäbiges Verhalten sogar noch dankbar sein.

Doch was bleibt den friedensbewegten Pazifisten zu tun? Leider nicht viel. Kriegszeiten sind einfach keine gute Zeit für sie. Sie sind die Letzten, die Einfluss auf das reale Geschehen in der Welt nehmen können.

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